Montag, 24. Februar 2020

Auschwitz ist zum Symbol des Holocausts geworden. Der bekannteste und auch am häufigsten besuchte Ort des "totalen Schwarz". Ein ungemein wichtiger Ort, der wie kein zweiter für den ebenso prägnanten wie richtigen Ausspruch "Nie wieder" steht. Es ist ein Ort zum Gedenken, aber auch zum individuellen und kollektiven Lernen. Ich selbst habe Auschwitz nun zum dritten Mal besucht und jeweils mit ganz unterschiedlichen neuen Gedanken verlassen. Beim ersten Mal alleine, dann mit einer deutsch-ukrainischen Gruppe aus Geographen und nun also im Rahmen der Bildungsreise für Studierende des Lehrstuhls für Interkulturelle Kommunikation, deren Interesse durch den Roman "Der Vorleser" von Bernhard Schlink geweckt wurde. Es ist bemerkenswert, diesen schwierigen Ort der Trauer und des Todes aus aufrichtigem, eigenem Interesse aufgesucht zu haben.

Nicht vergessen werden sollte jedoch, dass der Holocaust mitnichten auf die deutschen Todesfabriken im heutigen Polen beschränkt werden kann. Als die ersten Menschen in Gaskammern von Auschwitz-Birkenau ermordet wurden, war ein großer Teil der vor allem jüdischen und polnischen Opfer des deutschen Vernichtungskriegs bereits tot. Dieser "Holocaust durch Kugeln" in Form von Massenerschießungen hinter der vorrückenden Front auf dem Territorium der heutigen Ukraine, Belarus, Litauens und Polens ist weit weniger bekannt, sollte aber ebenso intensiv erinnert werden. Er rührt in uns umso mehr ein Unbehagen, denn die Orte dieser Verbrechen sind gleich neben uns. In Wäldern, Hinterhöfen, Gruben. Bekannt oder unbekannt. Bis heute tabuisiert oder langsam erinnert.

Es ist fatal, dass meine deutschen Mitbürger (auch bedingt durch den Eisernen Vorhang) von letzteren Verbrechen kaum etwas wissen und immer häufiger einen Schlussstrich unter die Erinnerung an den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg ziehen möchten. 2015 waren dies laut Bertelsmann-Studie rund 58 %. Dass ein Lernen aus der Geschichte nicht nur wichtig, sondern essenziell für eine moderne Demokratie ist, zeigte sich leider zuletzt deutlich durch die rechtsextremen Anschläge gegen Juden und Ausländer in Halle und Hanau, aber auch durch den Aufstieg der AfD.

Warum aber sollten sich Ukrainer mit dem Holocaust und den Verbrechen des Zweiten Weltkrieges auseinandersetzen? Zunächst einmal ist es mehr als der größte Zivilisationsbruch des zwanzigsten Jahrhunderts. Es sind die Geschichten von Mitmenschen, von ehemaligen Mitbürgern - egal ob sie nun polnischer, jüdischer, deutscher oder ukrainischer Herkunft waren. Sie erzählen den millionenfachen Verlust einer Multiethnizität, die vielleicht nicht immer so konfliktfrei war, wie wir es uns heute idealisiert vorstellen, die aber eine Art DNA der Region darstellte. Tausende Orte erzählen diese Geschichten: vom längst vergessenen jüdischen Bad und überprägten Friedhöfen über Gedenkstätten und Museen bis hin zum unscheinbaren Haus nebenan. Die Aufgabe der gegenwärtigen Generationen ist es, diese Geschichten zu bewahren, weiterzuerzählen, davon zu lernen und sich für demokratische Werte einzusetzen. Diese Auseinandersetzung mit der Geschichte ist erst seit der Unabhängigkeit der Ukraine möglich, nachdem wichtige Aspekte des Holocausts in der Zeit der Sowjetunion nicht thematisiert wurden. Der Einsatz für demokratische Werte zeigt sich dabei nicht nur bei den bekannten Ereignissen wie dem Maidan, sondern eben auch im "Kleinen" in der Entscheidung einer gesamten Seminargruppe freiwillig und auf eigene Kosten nach Auschwitz zu fahren. Nicht zuletzt ist es auch eine geschichtspolitische Chance, dem etablierten russländischen bipolaren Narrativ von den "faschistischen Ukrainern" und der Befreiung durch die "ruhmreiche Rote Armee Mutter Russlands" komplexere Bilder entgegenzusetzen. Auschwitz wurde von der 1. Ukrainischen Front befreit und unter den "Gerechten unter den Völkern", die nachweislich Juden gerettet und so ihr eigenes Leben riskiert haben, befinden sich 2634 Ukrainer aber nur 209 Russen. 2634 Helden, von deren Mut erzählt werden sollte.

Beeindruckt hat mich aber nicht nur der Entschluss der Gruppe nach Auschwitz zu fahren, sondern die sehr konzentrierte und aufmerksame Atmosphäre der Studienphasen der Bildungsreise. Gleichsam positiv in Erinnerung bleiben wird die sehr positive Gruppendynamik in der Freizeit, beim gemeinsamen Frühstück und der Umgang miteinander.

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